Interviewtechnik in der Bewerberauswahl

20.12.2023

Die richtigen Mitarbeiter für das eigene Team einzustellen und langfristig im Unternehmen zu halten ist eine der Hauptaufgaben von Führungskräften. Die wenigsten Team- und Gruppenleiter sind allerdings auf diese zentrale Aufgabe vorbereitet. Die Folge davon sind immer wieder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nicht die erhoffte Leistung bringen, weniger Kompetenz und Engagement zeigen als erwartet und eine zu hohe Kranken- und Fluktuationsquote.

Mein Ziel ist es dafür zu sorgen, dass du als Führungskraft gute Auswahlentscheidungen für dich und dein Team triffst und damit die Voraussetzungen dafür schaffst, gemeinsam mit deinen Leute Höchstleistung bei bestmöglicher Laune zu erbringen.

Deshalb habe ich in diesem Artikel die wichtigsten Tipps und Tricks für eine erfolgreiche Auswahl-Strategie für dich zusammengestellt.

Fangen wir an mit dem Nutzen der systematischen Personalauswahl:


Warum Interviewtechnik?

Gerade komme ich von einem Leadership-Training in Bad Dürkheim. Am zweiten Vormittag haben wir intensiv darüber gesprochen, wie wichtig es ist, die richtigen Leute zu finden und im Unternehmen zu halten: Gerade in schwierigen Zeiten sind wirklich motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ein gut funktionierendes Team die Schlüsselfaktoren für unternehmerischen Erfolg – und genau dafür zu sorgen ist eine der wichtigsten Aufgabe der Führungskraft. Wer sonst könnte beurteilen, welche Kompetenzen gebraucht werden und welche Charaktere das Team voranbringen?

Schnell wurde klar, dass das gar nicht so leicht ist, denn: Wie finde ich heraus, ob die Bewerberin oder der Bewerber

  • die notwendigen fachlichen Skills hat?
  • die notwendigen fachlichen Skills hat?
  • wirklich ins Team und zu den Kunden passt?
  • tatsächlich Lust auf den Job und das Unternehmen hat?

Sehr interessant waren die unterschiedlichen Strategien in unserer Runde. Ein Abteilungsleiter lädt zum Beispiel nach erfolgreichem Vorgespräch jeden Kandidaten zu einem Gespräch mit dem gesamten Team ein, das dann final entscheiden darf, welche Bewerberin oder welcher Bewerber schließlich eingestellt wird. Grundsätzlich ist es natürlich eine gute Idee, das Team am Entscheidungsprozess zu beteiligen. Allerdings ist diese Strategie- wie in unserem Fall- nicht immer von Erfolg gekrönt, und dann geht die Suche von vorne los…

Unser Gespräch hat mich mal wieder daran erinnert, dass viele Führungskräfte ihre diagnostischen Fähigkeiten -Entschuldigung! – gnadenlos überschätzen: Die allermeisten Menschen sind wir große Fans ihrer eigenen Erfahrung und Menschenkenntnis, gleichzeitig beweisen arbeitspsychologische Untersuchungsergebnisse seit Jahrzehnten gnadenlos das Gegenteil (Varelmann/Kanning 2018).

Aus meiner Sicht verlassen sich viel zu viele Führungskräfte gerade bei der Personalauswahl immer noch vor allem auf ihre Menschenkenntnis. Die nützt uns zwar normalerweise eine ganze Menge, ist aber erwiesenermaßen kein besonders guter Kompass in für die Beurteilung von Kompetenzen und Charakter unserer Bewerberinnen und Bewerber in der sehr speziellen und künstlichen Situation der Personalauswahl.

Der wirtschaftliche Schaden durch Fehlbesetzungen ist leider enorm. Die direkten und indirekten Kosten erreichen schnell mal das ein- bis zweifache des Bruttojahresgehalts.

Kosten

Direkte Kosten:

  • Kosten für Stellenanzeigen
  • Honorar Headhunter
  • Kosten für die Sichten der eingehenden Bewerbungen
  • Kosten für die Vorauswahl
  • Reisekosten Bewerber
  • Gehalt für den Mitarbeiter
  • Ggf. Kosten für Abfindungen oder Rechtsstreitigkeiten

Indirekte Kosten:

  • Kosten für die Einarbeitung des neuen Mitarbeiters
  • Geringere Arbeitsleistung
  • Führungsmehraufwand
  • Belastung der anderen Teammitglieder
  • Schlechtere Arbeitsatmosphäre
  • Umsatzverlust

Dabei lassen sich Fehlentscheidungen recht einfach vermeiden durch einen systematischen, klar strukturierten Auswahlprozess und den Einsatz geeigneter Gesprächstechniken im Bewerberinterview.

Das alles ist zum Glück keine Rocket Science! Hier habe ich alle wesentlichen Infos übersichtlich für dich zusammengestellt, so dass du in ein paar Minuten fit bist für den Einsatz professioneller Techniken im Auswahlprozess.

Fangen wir an mit einem Blick auf die „Don‘ts“ im Auswahlgespräch.

Stop

Absolut ungeeignete Auswahlinstrumente sind:

Unstrukturierte Interviews
Die Interviewer gehen sehr spontan in jedes Gespräch und sprechen mit der Bewerberin oder dem Bewerber ganz individuell, wie es sich gerade ergibt. Vorsicht, Falle: Wenig Bezug zu den Erfordernissen der konkreten Stelle, mangelnde Vergleichbarkeit der Bewerber.

Hypothetische Fragen:
„Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen Konflikt in Ihrem Team. Was würden Sie tun?“ Vorsicht, Falle: Abgefragt wird nur das theoretische Wissen – es gibt keinen Beleg dafür, wie sich die Bewerberin oder der Bewerber tatsächlich in so einer Situation konkret verhalten hat. Vorsicht, Falle: Bitte unterschätze nicht den Unterschied zwischen Theorie und Praxis!

Stressinterviews:
Die Interviewer wollen die Bewerberin oder den Bewerber „aus der Reserve locken und mal sehen, wie sie oder er so auf Stress reagiert“. Beispiele: „Warum haben Sie eigentlich so lange studiert?“, „Warum sollten wir ausgerechnet Sie einstellen?“ oder „Haben Sie heute einen schlechten Tag oder sind Sie immer so drauf?“ Vorsicht, Falle:

  • Wir erfahren nur, wie sich unser Gegenüber bei provozierenden Fragen in Jobinterviews verhält – aber nicht, wie er mit typischen Stresssituationen in ihrem oder seinem Job umgeht.
  • Keiner lässt sich gerne provozieren, schon gar nicht in so einer besonderen Situation wie einem Kennenlerngespräch. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass er im Nachhinein die oder den Fragenden für wenig authentisch bis unberechenbar oder gar hinterhältig einschätzt (und sich für einen anderen Arbeitgeber entscheidet), ist groß.

Die Ergebnisse solcher Interviews haben oft wenig mit dem realen Verhalten der Bewerberinnen und Bewerber im Arbeitsalltag zu tun. Die Folge davon: Oft entpuppt sich die oder der Eingestellte nach wenigen Wochen doch nicht als so geeignet wie erhofft. Die Leistung entspricht nicht den Erwartungen, Mehraufwände bei der Einarbeitung werden erforderlich, die Motivation leidet auf beiden Seiten und belastet die Zusammenarbeit im Team.

Manchmal stellt sich heraus, dass die Neueinstellung den Anforderungen der Stelle nicht gewachsen ist und die Probezeit verlängert werden muss. Oder, noch schlimmer: Trotz Bauchschmerzen wird sie oder er übernommen, was die Probleme erfahrungsgemäß meist nicht löst, sondern für beide Seiten zu einem Schrecken ohne Ende werden lässt.

Richtig gute Bewerberinnen und Bewerber warten jedoch oft gar nicht so lange: Sie haben meist andere attraktive Angebote oder suchen von sich aus nach besseren Alternativen. Dann kündigen sie mehr oder weniger überraschend - was bleibt, ist ein Imageschaden für dein Unternehmen, denn Menschen reden in ihrem Kollegen-, Freundes- und Familienkreis viel öfter über Dinge, die sie geärgert haben als über angenehme Erfahrungen.

Du kannst dir also ganz sicher sein, dass sie anderen gegenüber nicht nur Gutes über dein Unternehmen erzählen werden – kein gutes Personalmarketing in Zeiten, in denen sich die Besten ihre Arbeitgeber selbst aussuchen können, oder?!

Zum Glück gibt es aber simple Methoden, wie wir in Auswahlgesprächen ein möglichst realistisches Bild vom Verhalten unserer Bewerberin oder unseres Bewerbers bekommen und tatsächlich die oder den Besten für den Job identifizieren können.

Hier 6 Tipps für ein zielführendes Interview mit aussagekräftigen Ergebnissen:

1. Kein Interview ohne Anforderungsprofil!
2. Kein Interview ohne Interviewleitfaden
3. Konkrete Verhaltensbeispiele erfragen
4. Offene Fragen stellen
5. Interviews zu zweit führen
6. Interviews systematisch auswerten

1. Kein Interview ohne Anforderungsprofil!
Nur, wenn ich genau weiß, wen ich wirklich suche, habe ich eine Chance, meiner Kandidatin oder meinem Kandidaten die richtigen Fragen zu stellen.

Das Anforderungsprofil ist die Grundlage des gesamten Auswahlprozesses. Es sollte gemeinsam von der Führungskraft und dem HR Business Partner erstellt werden. Wertvollen Input dafür können die Vorgängerin oder der Vorgänger sowie die übrigen Teammitglieder liefern. Sie wissen meist sehr genau, welche Tätigkeiten und Verhaltensweisen wirklich erfolgsrelevant sind – und welche nicht.

Das Anforderungsprofil sollte Auskunft über vier Bereiche geben:

  • Die notwendige fachliche Qualifikation (Ausbildung, Lizenzen usw.),
  • Notwendige Berufserfahrung (Absolvent, wenig oder langjährige Erfahrung?),
  • Relevante Soft Skills (Arbeits- und Sozialverhalten) und
  • Die Motivation der Bewerberin oder des Bewerbers

Damit werden die wichtigsten Aspekte für eine erfolgreiche Stellenbesetzung abgedeckt: Passt die Motivation nicht, wird das Leistungspotenzial nur unvollständig realisiert. Im schlimmsten Falle kündigt ein Leistungs- und Potenzialträger, weil ihm oder ihr bestimmte Dinge auf der Stelle oder im Unternehmen fehlen oder weil er oder sie feststellt, dass seine oder ihre persönlichen Werte nicht zur gelebten Unternehmenskultur passen.

Die Soft Skills sind von zentraler Bedeutung für den Erfolg auf der Stelle: Mit seinen oder ihren Charaktereigenschaften sollte der Bewerber oder die Bewerberin ins Team und zu den Kunden passen, damit die Arbeitsatmosphäre stimmt und die Zusammenarbeit auf beiden Seiten als grundsätzlich positiv und bereichernd erlebt wird.

Auch die Berufserfahrung sollte passen, damit der oder die Neue nicht über- oder unterfordert ist und der Erfahrungsgrad zu den Anforderungen passt. Nur so ist Entwicklung und Wachstum möglich, ansonsten drohen Burn- oder Bore Out.

Die fachliche Qualifikation wird dagegen meist überschätzt. Natürlich sollte eine Betriebsärztin oder ein Betriebsarzt über ein abgeschlossenes Medizinstudium und die Approbation verfügen – ein Entwicklungsingenieur kann sich dagegen durch ein Ingenieursstudium ebenso gut qualifizieren wie durch ein Studium der Physik. Darüber hinaus lassen sich fachliche Defizite durch Schulungen und Trainings meist schneller beheben als ein Mismatch im Bereich der Softskills.

Grundsätzlich gilt: Eingestellt werden die meisten Bewerberinnen und Bewerber aufgrund ihrer hervorragenden fachlichen Passung. Kommt es später zur Kündigung seitens des Unternehmens, liegt dies meistens an den Soft Skills der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters. Kündigt sie oder er von sich aus, liegt es meist an motivationalen Aspekten: Sie oder er hatte sich Anderes erhofft und ist enttäuscht, dies nicht auf dieser Stelle bekommen zu haben.

Leitfaden_schreiben

2. Kein Interview ohne Interviewleitfaden
Auswahlgespräche sollten grundsätzlich auf Basis eines Interviewleitfadens geführt werden. Dieser wird auf Basis des Anforderungsprofils erstellt und enthält einen Fragenkatalog zu den wichtigsten Kriterien, die du nach Erstellung des Anforderungsprofils als wirklich erfolgsentscheidend identifiziert hast.

Damit schaffst du eine einheitliche Grundlage für deine Gespräche und stellst sicher, dass du am Ende deiner Gespräche wirklich vergleichbare Ergebnisse erhältst: Jede Bewerberin und jeder Bewerber wird grundsätzlich nach denselben Kriterien befragt.

Der Leitfaden ist typischerweise halbstrukturiert, d.h. ergänzende Fragen können und sollen situativ von den Interviewenden gestellt werden, wann immer es sinnvoll und hilfreich erscheint, das Thema zu vertiefen und gegebenenfalls noch aus weiteren Perspektiven zu beleuchten.

Um zu aussagekräftigen Ergebnissen zu gelangen, solltest du für ein Interview von ca. 90 Minuten Dauer nicht mehr als 5 Kriterien einplanen.

Jedes Kriterium wird definiert und mit konkreten Verhaltensbeispielen, sogenannten Verhaltensankern, genauer beschrieben – hier ein Beispiel:

Kriterium: Kundenorientierung
Definition:Kundenorientierung ist die Fähigkeit und die Bereitschaft, sich in die Perspektive der Kundinnen und Kunden hineinzuversetzen und deren Wünsche und Erwartungen zu erkennen, ernst zu nehmen und das eigene Handeln danach auszurichten. Verhaltensanker:

  • Ermittelt proaktiv die Bedürfnisse und Wünsche der Kunden
  • Richtet seine Arbeit auf den Nutzen für den Kunden aus
  • Etabliert langfristige und vertrauensvolle Beziehungen zu den Kunden
  • Erfragt und analysiert regelmäßig die Kundenzufriedenheit
  • Übernimmt persönlich die Verantwortung dafür, Kundenprobleme schnell und dauerhaft zu lösen.

Es empfiehlt ich, nach einer kurzen Vorstellungsrunde recht schnell zum Frageteil überzugehen – genau darauf warten ja die meisten Bewerber und sind dann ganz erleichtert, „wenn es endlich losgeht“. Fragen nach der Motivation beschließen den Hauptteil des Interviews. Erst danach sollten ausführlichere Informationen zum Team und zum Unternehmen erfolgen. Diese können dann entsprechend dem bisherigen Gesprächsverlauf mehr oder weniger detailliert erfolgen. Eine kurze Reflexion des Interviews und Informationen zum weiteren Vorgehen beschließen das Gespräch.

3. Konkrete Verhaltensbeispiele erfragen
Ziel des Interviews ist es, den Bewerber der kurzen Zeit des Gesprächs so gut und so realistisch wie möglich kennenzulernen, um Fehlbesetzungen nach Möglichkeit auszuschließen.

Um dieses Ziel zu erreichen, sollten wir uns mit Hilfe des Interviews ein sehr gutes Bild davon machen können, wie sich unsere Bewerberin oder unser Bewerber typischerweise im beruflichen Kontext verhält.

Dies gelingt am besten mit einer speziellen Gesprächstechnik, dem sogenannten Verhaltensdreieck.

Das Vorgehen sieht aus wie folgt:

Zunächst bitten wir unsere Gesprächspartnerin oder unseren Gesprächspartner, uns ein aktuelles Beispiel für das gewünschte Kriterium zu nennen. Hier ein Beispiel:

„Bitte beschreiben Sie eine Situation aus den letzten paar Tagen, in der Sie sich sehr kundenorientiert verhalten haben“.

Wenn er oder sie ein passendes Beispiel gefunden hat, stellen wir Vertiefungsfragen, um uns die Situation so gut wie möglich vorstellen zu können: Wer war der Kunde, worum ging es genau usw.

Im Anschluss daran erfragen wir das Verhalten unserer Bewerberin oder unseres Bewerbers: „Was haben Sie in dieser Situation getan?“ Hier ist es wichtig zu erfahren, was er oder sie tatsächlich getan hat und nicht nur etwas über ihre oder seine Gedanken oder Gefühle zu hören, denn: Letztlich kommt es auf die Taten an, nicht nur auf die Intention!

Im letzten Schritt geht es darum, die Reaktionen zu erfahren, die das Verhalten unserer Bewerberin oder unseres Bewerbers bei anderen ausgelöst hat, z. B. beim Kunden, bei Kollegen und Vorgesetzten oder sonstigen Personen, die unsere Gesprächspartnerin oder unseren Gesprächspartner in dieser Situation live erlebt haben.

Nachdem wir ein erstes Verhaltensdreieck in einer typischen Alltagssituation erfragt haben, erbitten wir ein zweites Beispiel für dasselbe Kriterium. Diesmal geht es allerdings um eine besondere Leistung, in der die Bewerberin oder der Bewerber sich also zum Beispiel besonders kundenorientiert gezeigt hat und dafür eine besonderes Lob erhalten hat. Dadurch erfahren wir, was für sie oder ihn ein besonders hohes Maß an Kundenorientierung bedeutet.

In einem dritten Anlauf bitten wir nun unsere Interviewpartnerin oder unseren Interviewpartner, uns ein Beispiel zu nennen, in dem sie oder er kritisches Feedback erhalten hat zu dem erfragten Kriterium. Mit den beiden vorhergehenden Beispielen haben wir damit ein Leistungsspektrum der Kandidatin oder des Kandidaten hinsichtlich ihrer oder seiner Kundenorientierung. Dies hilft uns bei der systematischen Auswertung realistisch einzuschätzen, wie gut er oder sie zu den Anforderungen unserer Stelle passt.

4. Offene Fragen stellen
Um dir ein realistisches Bild vom typischen Verhalten der Bewerberin oder des Bewerbers im beruflichen Kontext machen zu können, solltest du möglichst viel mit offenen Fragen („Wer war Ihr Ansprechpartner?“) arbeiten. Offene Fragen beginnen mit „W-Wörtern“ („Wer“, „Wie“, „Was“, „Wie viele“, „Inwieweit“, „Wie schnell“ usw.) und haben den Vorteil, dass sie die Antwort nicht vorab beeinflussen.

Ungeeignet sind dagegen suggestive Fragen („Probleme sprechen Sie sicher immer ganz offen an, nicht wahr?“ Vorsicht, Falle: Bewerber antworten meist im Sinne der sozialen Erwünschtheit – und damit erfahren wir nichts darüber, wie er oder sie sich tatsächlich in solchen Situationen verhalten hat.

Geschlossene Fragen („Haben Sie...?“, „Waren Sie...?“) sollten im Rahmen eines Vorstellungsgesprächs nur im Sinne der Verständnissicherung zum Einsatz kommen: „Habe ich Sie richtig verstanden, dass...?“? Gleiches gilt für Alternativfragen: „Sind Sie mit dem Auto oder mit dem Zug angereist?“

5. Interviews zu zweit führen Interviews sollten grundsätzlich zu zweit geführt werden. Die beiden Interviewenden können sich gegenseitig unterstützen und ergänzen. Da vier Augen mehr sehen als nur zwei, wird auch der spätere Auswertungsprozess durch im Sinne differenzierter Wahrnehmung optimiert. Idealerweise bereiten sich beide Interviewer gemeinsam auf das Gespräch vor und stimmen im Vorfeld ab, wer welche Kriterien federführend erfragt. Der oder die andere stellt dann ergänzende bzw. vertiefende Fragen, so dass sich beide gut ergänzen und dem Bewerber oder der Bewerberin gegenüber ein stimmiges Bild vermitteln. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass sich ein Interviewender auf das Fragen und die Gesprächssteuerung konzentrieren kann, während die oder der andere die Antworten in Ruhe protokollieren kann. Wollen sich mehr als zwei Entscheider ein persönliches Bild von den Kandidaten machen, sollten entsprechend mehr Gespräche (z. B. zwei oder drei Runden) geführt werden.

Auswertung

6. Interviews systematisch auswerten In einem letzten Schritt solltest Du das Gespräch systematisch auswerten. Das geht wie folgt: Du vergleichst die Antworten des Bewerbers mit dem Anforderungsprofil und bewertest sie entsprechend. Das macht zunächst jeder Interviewer für sich, dann legt ihr die Ergebnisse nebeneinander und besprecht, wie ihr zu eurer Einschätzung gekommen seid. Wichtig: Bei eurer Bewertung solltet ihr euch stets an das halten, was ihr euch schwarz auf weiß notiert habt – schärfer formuliert: „Spekulieren verboten!“ 🙂

Wenn du feststellst, dass euch wichtige Informationen fehlen, könnt ihr euch die noch nachträglich holen, entweder kurz per Telefon oder in einem weiteren Gespräch.

Unbedingt besprechen solltest du auch Beobachtungen und Verhaltensweisen, die dir aufgefallen sind, auch wenn dazu nichts im Anforderungsprofil steht. Ein Beispiel: Manchmal äußern sich Bewerberinnen und Bewerber abfällig über ihre bisherigen Arbeitgeber: Der letzte Chef war ein Ausbeuter, der davor ein Idiot, der davor war ein kleinkarierter Mikromanager und so weiter und so fort. In solchen, zum Glück sehr seltenen Fällen, rate ich meinen Kundinnen und Kunden ganz klar von einer Einstellung ab, so gut und qualifiziert die Bewerberin oder der Bewerber auch sein mag.

Zusammenfassung
Für aussagekräftige Ergebnisse im Auswahlgespräch solltest du

  • Das Anforderungsprofil erstellen und daraus die relevanten Kriterien ableiten,
  • Alle Gespräche auf Basis eines vorbereiteten Interviewleitfadens führen,
  • Nicht nach Einstellungen und Meinungen, sondern nach konkretem Verhalten fragen,
  • Sehr bewusst mit offenen Fragen arbeiten und
  • Interviews mindestens zu zweit führen

Arbeitspsychologische Forschungen haben ergeben, dass systematisch vorbereitete und durchgeführte Interviews bis zu achtmal aussagekräftigere Ergebnisse liefern als unstrukturierte Gespräche.

Wenn du also etwas Zeit in die Vorbereitung der Gespräche investierst und dich im Gespräch an deinen Leitfaden hältst, konsequent mit offenen Fragen arbeitest und den Schwerpunkt auf das Erfragen konkreter Verhaltensbeispiele legst, dann zahlt sich das schnell und spürbar aus: Deine guten (manchmal vielleicht auch unbequemen) Auswahlentscheidungen stärken dein Team und damit das Unternehmen, beweisen deine Kompetenz und deinen „guten Riecher“ in Sachen Personalauswahl und zeigen, dass du einen richtig guten Job machst.

Literatur:

Varelmann, Lisa/Kanning, Uwe Peter (2018): Personalauswahl: Praktiker überschätzen Validität von Auswahlverfahren. In: Wirtschaftspsychologie aktuell 25 (1), S. 43–46.


GÜNTHER DOMES

Hallo, mein Name ist Günther Domes.

Seit über 25 Jahren berate, trainiere und coache ich Führungskräfte aus global agierenden Konzernen der unterschiedlichsten Branchen.

Schwerpunkte sind die Themen Mitarbeiterführung, Kommunikation und Interviewtechniken in der Personalauswahl.

Hauptziel meiner Arbeit ist es, meine Kundinnen und Kunden fit zu machen für ihre Aufgaben als kompetente und überzeugende Führungskraft – damit sie nicht nur anspruchsvolle Ziele erreichen, sondern wirklich etwas bewirken!

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